Ein ehrlicher Beitrag über mein berufliches Leben und die Asche meines Verlängerungsvertrages.
„Ich liebe meinen Job.“ Das sagte ich vor 2 Jahren aus vollem Herzen, wenn ich nach meiner Arbeit gefragt wurde.
„Ich liebe es, meinen Job zu verlassen.“ Das sage ich heute aus vollem Herzen, wenn ich nach meiner Arbeit gefragt werde.
Vor 2 Jahren war mein größter Wunsch, dass aus meinem befristeten Arbeitsvertrag ein unbefristeter wird. Familie, Freundschaft, Gesundheit – nichts war mir wichtiger als mein Berufsleben. Weil ich es aus vollem Herzen liebte, Redakteurin bei meiner Mediengruppe zu sein. Ich liebte die Freiheit, über jedes Thema und jeden Menschen Artikel schreiben zu dürfen, der mir in den Sinn kam. Ich liebte meine Kollegen und all die Freude, die wir gemeinsam im Großraumbüro hatten. Ich liebte es, am nächsten Tag in der Zeitung zu sehen, was ich gestern gearbeitet hatte. Ich liebte es, zwischen den Terminen durch die Stadt zu laufen und der Sonne entgegen zu lächeln. Ich liebte es, Menschen mit meinen Worten eine Stimme zu geben. Ich liebte meine Kreativität, wenn ich unter Zeitdruck stand. Oft war ich traurig, wenn es Zeit wurde, nachhause zu gehen.
Niemals hätte ich mir vorstellen können, dass ich meine Mediengruppe freiwillig verlasse. Niemals.
Jetzt ist es 2 Jahre später und der Verlängerungsvertrag liegt vorwurfsvoll auf meinem Schreibtisch. Ich habe meinem Chef gesagt, dass ich gehen werde. Selten habe ich vor einem Gespräch so viel Angst gehabt. Angst, meinen Chef zu enttäuschen, der mit meiner beruflichen Zukunft plante. Angst, meine Kollegen zu enttäuschen und im Stich zu lassen. Angst, dass ich nichts anderes kann als hier zu arbeiten. Und nach dem Gespräch? Erst kam der Stolz. Der ist auch immer noch da. Ich bin stolz, dass ich auf mein Herz höre. Vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben. Doch da ist auch Unsicherheit. Nicht, weil ich nicht weiß, wie es weitergeht. Der nächste Vertrag für ein neues Unternehmen liegt schon auf meinem Schreibtisch. Unsicherheit, weil ich nicht weiß, ob ich gut genug bin für die Entscheidung, meine Mediengruppe zu verlassen. Bin ich gut genug für meinen neuen Job? Bin ich gut genug, möglicherweise umzuziehen und mir ein neues Leben in einer anderen Stadt aufzubauen? Bin ich gut genug, um mit unvorhergesehenen Situationen umzugehen? Dazu kommen noch Gedanken wie: Bin ich an anderen Orten und bei anderen Menschen gewollt? Bin ich es wert, etwas Neues auszuprobieren? Bin ich in neuen Situationen geliebt oder bin ich ab sofort einsam und verlassen?
Viele interessante Gedanken.
Noch ein paar Gedanken, warum ich meinen Vertrag nicht verlängert habe. Es ist nicht so, als wären meine Arbeitsbedingungen plötzlich erheblich schlechter geworden. Klar steigt der Arbeitsaufwand durch Digitalisierung, Umsatzdruck und ständige Erreichbarkeit. Klar geht es mir auch mal an die Substanz, wenn ich wegen Personalmangel länger arbeiten muss. Klar könnte ich woanders mehr verdienen. Aber nichts davon ist ein Grund für mich, meine Mediengruppe zu verlassen. Ich liebe meinen Job immer noch.
Was ist anders als vor 2 Jahren?
Ich liebe mich. Noch nicht jeden Tag und in jeder Lebenslage. Aber ich liebe mich. Ich liebe mich so sehr, dass ich es mir wert bin, etwas Neues auszuprobieren. Ich liebe mich so sehr, dass ich es mir ermöglichen möchte, weiter zu wachsen. Ich liebe mich so sehr, dass ich mir eine Fülle an unterschiedlichen Erfahrungen kreieren möchte. Ich gehe nicht aus Groll, Angst oder bösen Blut. Ich gehe aus Liebe. Aus Liebe zu mir.
Ich habe noch nicht entschieden, wohin ich gehe. Ich habe mir aber viele Möglichkeiten erschaffen. Und wenn die Zeit gekommen ist, werde ich dort aus Liebe zu mir selbst und in Liebe hingehen.
Gestern habe ich meinen Verlängerungsvertrag verbrannt. Nicht aus Groll, Angst oder bösem Blut. Sondern aus Liebe. Hier ist, was ich unter anderem im Papier verbrannt und losgelassen habe:
- Das Gefühl, andere zu enttäuschen. Zurück kam: Ich bin eine Bereicherung für andere.
- unbezahlte Überstunden. Zurück kam: Ich bin es mir immer wert, bezahlt zu werden.
- nachts, am Wochenende und 24/7 erreichbar zu sein. Zurück kam: Ich bin es mir immer wert, ein erfülltes Leben neben der Arbeit zu haben.
- das Gefühl, nicht mehr zu können als bei meiner Mediengruppe zu arbeiten. Zurück kam: Ich kann alles arbeiten, was ich will.
- dass meine Zeit, mein Einsatz und meine Worte für selbstverständlich genommen werden. Zurück kam: Meine Präsenz ist ein Geschenk.
- den Schreibstil von anderen aufgedrückt bekommen. Zurück kam: Mein Schreibstil gehört mir.
- keine Mittagspause zu machen. Zurück kam: Ich bin mir jede Pause wert.
Die Asche streue ich heute in den Wald, damit daraus etwas Neues entstehen kann. Ich bin bereit, egal was kommt. Ich kann mit allem umgehen, egal was passiert. Denn egal wie groß die Unsicherheit im Außen ist, ich bin sicher in mir. Ich bin bereit, egal wer mich liebt oder nicht liebt. Denn ich liebe mich.

GROSSARTIG!