Ich würde gerne so mitreißend und lustig erzählen können wie meine Freundin. Ich würde gerne so nah am Menschen schreiben können wie mein Kollege. Ich würde gerne so ein großes Herz haben wie meine Oma. Natürlich hätte ich auch gerne so lange Beine wie Lena Gercke, so eine starke Stimme wie Adele und so ein symmetrisches Gesicht wie Kate Moss. Ich wäre gerne so reich wie Bill Gates, so berühmt wie George W. Bush und so erfolgreich wie Taylor Swift. Dazu wäre ich gerne noch so frei wie Pippi Langstrumpf, so weise wie Dumbledore und so entspannt wie Baloo. Für den Anfang reicht es aber schon, wenn ich mehr leiste als meine Kollegin. Dann fühle ich mich ein bisschen weniger wertlos.
„Vergleiche Dich nicht mit anderen, denn keiner ist wie Du. Vergleiche Dich nur mit Dir selbst“ – steht es auf jedem zweiten „Inspirational Quote“ auf Instagram. Für mich nur schwer umsetzbar. Selbst wenn ich der letzte Mensch auf der Welt wäre, würde ich vermutlich eine Person erfinden, um mich
vergleichen zu können. Das Vergleichen spornt mich an, immer besser zu werden. Meine Redebeiträge und Texte zu verbessern, mein Herz auch für meinen ärgsten Feind zu öffnen. Nicht aufzugeben, weil die anderen auch weitermachen. Ich vergleiche mich mit der Welt, um mehr von meinem Potential auszuschöpfen.
Der Vergleich mit mir selbst lähmt mich oft. Mein fünfjähriges Ich war so voller Mitgefühl, so unbeschwert und sorgenfrei. Die kleine Lisa hatte Freunde, war wissbegierig und immer voller Energie. Heute brauche ich schon Disziplin, um nicht die Schlummertaste meines Weckers zu drücken, bin mit meinen Gedanken schon bei meinen Zukunftsproblemen im nächsten Jahr und freue mich, wenn Freundschaft mal als Sprachnachricht auf meinem Handy aufblinkt.
Im Vergleich mit mir selbst bin ich die größte Loserin. Dann vergleiche ich mich doch lieber mit meiner Oma, die sich trotz ihrem riesigen Herzen auch mal über einen Politiker aufregt. Auf der anderen Seite werde ich auch gelegentlich vor meinem Wecker wach, vergesse im vollen Leben des Moments, welcher Tag heute ist und genieße einen zwecklosen Laberzoom. Doch komischerweise fällt mir das nie ein, wenn ich mich vergleiche.
In den meisten Fällen fahre ich für mich gut damit, mich mit anderen zu vergleichen und die Finger vom Vergleich mit mir selbst zu lassen. Würde ich das komplett loslassen, würde mir etwas fehlen, um mich zu Höchstleistungen außerhalb meiner Komfortzone, zum Wachstum und zum Annähern an mein Potential anzuspornen.
Doch für mich hat es sich bislang nicht als vorteilhaft erwiesen, alles auf eine Karte zu setzen. Nur eine Einkommensquelle, nur eine Sportart, nur eine Methode, um mein Potential zu entfalten. Denn was passiert, wenn diese eine Sache wegbricht? Zu schnell bin ich im Alles-oder-Nichts-Denken und sehe unter Druck im Ernstfall keine Optionen. Deswegen habe ich mir Folgendes angewöhnt: Wann immer ich bemerke, dass ich für mich nur eine Möglichkeit sehe, suche ich nach weiteren Alternativen. Und zwar, bevor meine einzige Strategie wegbricht. Vielleicht werde ich nie auf die Alternative angewiesen sein – umso besser. Doch im Notfall habe ich auf diese Weise schnell etwas, auf das ich zurückgreifen kann. Und in der Gegenwart kann ich leichter entspannen, weil ich mich in meinem Kopf flexibel und anpassungsfähig fühle.

Welche Möglichkeiten sehe ich also für mich außerhalb des Vergleichs, mein Potential mehr
auszuschöpfen? Feste Weiterbildungstermine zu buchen, unabhängig vom Leben anderer. Eine große Vision haben und mich jeden Tag mit ihr verbinden. Mir selbst einen Coach holen, der mich anspornt.
So brauche ich nicht nach links und rechts schauen, um mich zu verbessern, sondern bleibe mit meinem Fokus bei mir. Mein Potential fühlt sich auch viel mehr nach mir an, weil ich es für mich definiere ohne zu sehr zu schauen, was „Potential ausschöpfen“ für andere bedeutet. Mein Leben fühlt sich mehr nach mir an. Ich fühle mich mehr nach mir an. Ich bringe mehr von mir in die Welt.
Gleichzeitig kann ich für mich switchen, mich mit anderen vergleichen und mein Potential in
Verbindung mit anderen ausleben.
Es ist schön, das Vergleichen loslassen zu können, es aber nicht zu müssen.