Ein Loslass-Tanz mit Sicherheit, Unsicherheit, Stabilität und Instabilität

Eine meiner größten Herausforderungen aktuell ist Stabilität. Genauer gesagt der Mangel daran.

Es war nicht so, als gäbe es einen konkreten Auslöser, der mir die Sicherheit weggezogen hätte. Im Außen hat sich nichts verändert. Ich habe ein sicheres Dach über dem Kopf und einen sicheren Job. Es war eher ein Prozess. Ein Prozess, der vor Jahren begann.

Früher war ich sicher mit mir.

Früher war ich sicher mit mir. Ich war eine Meisterin darin, meinen emotionalen Zustand stabil zu halten. Nicht, weil ich Atemtechniken kannte oder in Coachings bin. Davon war ich Lichtjahre entfernt. Ich hatte meine eigene, hochwirksame Methode: Gefühle leugnen. Wann immer ich einen Kloß im Hals spürte (Trauer) oder mein Puls anstieg (Wut), sagte ich mir selbst so lange, dass das nur eine Einbildung ist und deswegen jetzt weggehen kann, bis es wirklich weg war. Natürlich war es nicht weg, sondern nur unterdrückt. Doch für den Moment war das eine super Technik. Und ich fühlte mich sicher. Stabil. Als hätte ich mich und mein Leben im Griff und unter Kontrolle.

Irgendwann kam eine Trauer, die konnte ich trotz all meiner Bemühungen nicht mehr wegschieben. Ich war immer noch Welten von gesunder Emotionsregulation entfernt. Aber ich weinte alleine – größtenteils weil ich die Tränen nicht aufhalten konnte. Es gab eine Zeit, da wachte ich jeden Morgen auf und weinte erstmal eine halbe Stunde. Ich kämpfte nicht dagegen an und hatte trotzdem oft das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren. Die Kontrolle über meine Tränenflüssigkeit. Die Momente, in denen ich mich in mir nicht sicher fühlte, begannen.

Ich verurteilte mich auch für meine Wut. Ich fühlte mich schuldig, dass ich so fühlte.

Bald kam die Wut. Bei der Wut stellte ich fest, dass sie – im Gegensatz zu den Tränen – nicht einfach so kam. Sie schien nur bei bestimmten Songs zu kommen. Und danach auch wieder so plötzlich zu verschwinden, wie sie gekommen war. Auch wenn die Wut in einem gewissen Rahmen in meinen Körper kam, fühlte ich mich währenddessen unsicher. Ich verurteilte mich auch für meine Wut. Ich fühlte mich schuldig, dass ich so fühlte.

Wenn ich raus ging und zu anderen Menschen Kontakt hatte, war ich jedoch weiterhin sicher in mir. In Gesellschaft ließ ich keinen an mich ran. Weder nah an meinen Körper noch nah an meine Emotionen. Das war sicher. Das war stabil. In meiner Vergangenheit war es bei anderen Menschen unsicher und instabil. Deswegen wahrte ich die Distanz um jeden Preis.

Irgendwann kam ein Mensch für den ich meine Distanz abbauen wollte. Es war alles andere als kontrolliert und ging gründlich schief. Ab diesem Zeitpunkt fühlte ich mich nirgendwo mehr sicher. Weder in mir und schon gar nicht bei anderen. Deswegen suchte ich mir Dinge im Außen, die mir Sicherheit, Stabilität und Kontrolle gaben. Lange Zeit gehörte dazu die Kontrolle über meinen Körper. Was ich wann esse und wie viel ich mich bewege. Ich kontrollierte meine Worte, indem ich mich 99 Prozent in Schweigen hüllte. Ich ging einen Vertrag mit der Sicherheit ein, als ich einen neuen Arbeitsvertrag unterschrieb. Ein fast immer gleicher Tagesablauf, gleiche Gewohnheiten und gleiche Planungen trugen weiterhin dazu bei. Ich machte mir auch bewusst, dass ich in einem Land lebe, in dem kein Krieg ist und dass ich ein Dach über dem Kopf habe. Sicherheiten, die immer schon wie selbstverständlich da waren, die ich aber nie als solche wahrgenommen habe.

Heute habe ich die Kontrolle über meinen Körper weitestgehend abgelegt. Ich rede viel mehr und das meiste spontan. Ich habe andere Gewohnheiten, aber oft passiert auch so viel Unvorhergesehenes in meinem Alltag. Meinen Job habe ich immer noch, gleichzeitig liegen andere Jobangebote auf meinem Tisch. Ich fühle mich emotional sicher.

Um die Kontrolle zu verlieren, muss ich sie ja erstmal gehabt haben.

Jetzt gerade fühle ich mich sicher. Wenn ich an meine Zukunft denke, fühle ich mich unsicher. Ich meine damit nicht, was in einem Jahr ist. Sondern, was in einer Stunde ist. In diesem Moment fühle ich mich sicher. Im nächsten bestehe ich nur noch aus Angst und Instabilität. Ich habe das Gefühl, ständig die Kontrolle zu verlieren, bis wieder alles gut ist. Um die Kontrolle zu verlieren, muss ich sie ja erstmal gehabt haben. Und das ist ein guter Gedanke für mich.

Nicht Sätze wie „Sicherheit ist eine Illusion“ oder „Das Leben ist unsicher“. Sondern die Erinnerung daran, dass ich mich nur sicher fühlen kann, weil ich erlebe, was Unsicherheit ist. Die Erinnerung, dass nur die Kontrolle verlieren kann, weil ich weiß, wie es sich anfühlt, Kontrolle zu haben. Mittlerweile finde ich den Begriff „Freiheit“ beziehungsweise „Handlungsfreiheit“ passender. Aus einem mental, emotional und spirituell klaren Moment handeln, anstatt aus einem alten Verhaltensmuster, basierend auf kleinhaltenden Glaubenssätzen oder einer übermächtigen Angst.

Es ist verdammt anstrengend, alle 5 Minuten die Kontrolle zu verlieren.

Ich bin gerade mittendrin im Loslass-Prozess. Meine Vorstellung vom Loslassen ist manchmal, dass ich es loslasse und dann ist es weg. Doch meine Realität ist, dass ich Stück für Stück loslasse. Deswegen schreibe ich es auch so auf Instagram (https://www.instagram.com/lisa_laesst_los/) : „Was ich heute ein Stückchen mehr loslasse“. Ich lasse ein Stückchen los, dann ist es mal kurz weg – vielleicht nur für fünf Minuten – und dann kommt es wieder. Dann entscheide ich mich wieder dazu, es loszulassen, ein weiteres Stück geht, kommt wieder, geht, ich entscheide.. Es ist wie ein Tanz. Ein Loslass-Tanz.

Natürlich wünsche ich mir gerade mehr Stabilität in meinem Leben. Weil es verdammt anstrengend ist, alle fünf Minuten die Kontrolle zu verlieren. Nicht zu wissen, was ich in einer Stunde impulsiv tue und vielleicht hinterher bereue. Mich zusammenzuhalten zu wollen und trotz allem Kraftaufwand daran zu scheitern. Doch das ist eben gerade mein Prozess. Ich durchbreche alte Verhaltensmuster. In einem Loslass-Tanz, der sich manchmal anfühlt wie der größte Rückschritt ever. Doch dann kommt eine klare Minute, ein Moment des Vertrauens, ein Augenblick der Demut für meine Wachstumsreise.

Heute lasse ich gleichermaßen Sicherheit und Stabilität und Unsicherheit und Instabilität los.

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