Wie stoppe ich mein Gedankenkarussell und wie kann ich Gedanken wirklich loslassen?
„Denk net so oft an uns – am besten gar net.“ Mit diesen Worten verabschiedete mich mein Kollege in ein paar Urlaubstage Anfang des Monats. Seine Worte waren lieb gemeint, schließlich kannte er das Dilemma nur zu gut: Lag er doch zwei Wochen lang an Spaniens Stränden und dachte trotzdem daran, ob auch der kleine Verein in Südhessen morgen einen Bericht in der Zeitung bekommen würde. Seine Worte waren wirklich lieb gemeint, denn vermutlich hatte er mich auch mal an einem Samstag oder Sonntag zu einer unchristlichen Zeit online am Arbeitsrechner gesehen. Seine Worte waren total lieb gemeint, und doch beschäftigten sie mich.
Denn wenn ich mir sage, dass ich bloß nicht an die Arbeit denken will – was macht mein Gehirn dann wohl? Es denkt erst recht und sofort an die Arbeit. So, wie wenn ich Dir sage: Denk jetzt an alles außer an rote Autos – an was denkst Du wohl als erstes? An rote Autos. Und dann machst Du Dich vielleicht noch dafür fertig, dass Du gerade an rote Autos denkst. Denn vielleicht weißt Du: Am Anfang jeder Handlung steht der Gedanke. Deine Gedanken erschaffen die Realität. Alles, was Du in Deinem Leben kreieren möchtest – die Verabredung mit Deiner Freundin, Dein Abendessen, Dein neuer Job – fängt als Gedanke in Deinem Kopf an. Deine Gedanken sind schöpferisch. Immer. Dazu kommt: Das, worauf Du Deine Aufmerksamkeit richtest, wird größer. Wenn Du also permanent denkst: „Ich bin nicht gut genug“, wird Dein Gehirn ganz viele Beweise dafür finden, dass dieser Gedanke in Deiner Lebensrealität wahr ist. Würdest Du stattdessen öfter denken „Ich bin gut genug“, würdest Du Dein Gehirn auf Beweise dahingehend programmieren. Deine Gedanken geben den Filter vor, mit dem durchs Leben gehst. Und Du kannst in jedem Moment neu wählen, wie dieser Filter aussieht. Du kannst in jedem Moment wählen, welchen Gedanken Du denken möchtest. Die Gedanken sind schließlich frei.
Der große Struggle für alle Overthinker: Wie stoppe ich jetzt mein Gedankenkarussell? Das ist ein Problem, was mir persönlich öfter beim Loslassen passiert, als Du vielleicht denkst. Wenn ich mir die Intention setzte: „Ich lasse meinen Perfektionismus los“, an was denke ich dann wohl gerade? Was erschaffe ich wohl gerade? An meinen Perfektionismus. Wenn ich mit dieser Intention durch meinen Tag gehe, begegne ich ständig Situationen, in denen ich perfektionistisch bin. Die große Kunst liegt für mich nun darin, bewusst zu wählen, dass ich das nicht mehr will. Zuerst denke ich also, während ich perfektionistisch meinen Text auf Kommafehler durchgehe: „Ich lasse meinen Perfektionismus los. Ich erlaube mir Fehler.“ Danach handle ich bewusst danach und stelle den Text online, ohne ihn bis zum letzten Punkt Korrektur gelesen zu haben. Eine Möglichkeit, das Gedankenkarussell zu stoppen, ist also: Den Gedanken durch einen anderen Gedanken zu ersetzen. Diesem Gedanken etwas entgegenzusetzen. Aber bitte keine „positive“ Affirmation, die Du Dir sowieso nicht abkaufst. Für mich funktionieren konkrete Handlungsmuster gut: Wenn ich im Bett liege und denke „Ich gehöre nicht dazu“, denke ich an vergangene Situationen, in denen ich mich einer Gruppe zugehörig gefühlt habe und suche Fotos davon. Das erfordert Training. Doch es lohnt sich, wenn Du nach dem 3000. Versuch plötzlich ganz entspannt vor Deinem Text sitzt und Dich freust, wie leicht das Schreiben für Dich geworden ist. Wenn Du beim 2999. Versuch bist: Gib jetzt nicht auf, auch wenn Du nicht daran glaubst. Du musst nicht daran glauben, Du musst einfach weitermachen.
Eine weitere Möglichkeit, das Gedankenkarussell mit den kleinhaltenden Gedanken zu stoppen ist, Deine Erwartungshaltung loszulassen. Ein Gedanke, den ich wirklich sehr hartnäckig in meinem Kopf habe, ist: „Ich bin nicht gut genug.“ Ich denke den rund 20 Mal am Tag bewusst, die Dunkelziffer ist sicher höher. Einen anderen Gedanken entgegenzusetzen fällt mir schwer, weil er so präsent und mächtig in meinem Kopf ist .Der Gedanke „Ich bin gut genug“ löst in mir Stress, Trauer und Scham aus. Auch fällt es mir schwer, in jedem Moment, in dem dieser Gedanke aufploppt, sofort ins Handeln zu kommen. Wenn meine Vorgesetzten auf der Arbeit einen meiner Vorschläge ablehnen und ich denke „Ich bin nicht gut genug“, kann ich schlecht trotzdem meine Idee in die Tat umsetzen. Manchmal kann ich eine Erinnerung entgegensetzen, ein „Du bist gut genug Lisa“, was mir jemand gesagt hat. Dafür brauche ich jedoch eine Grundoffenheit, um den Gedanken wirklich in mich reinzulassen und ihn nicht nur zu denken, um ihn zu denken.
Sehr oft denke ich, wenn das „Ich bin nicht gut genug“ kommt: „So ein Scheiß. Ich weiß doch, dass ich gut genug bin. Ich habe es doch erfahren – mehrmals. Ich fühle es aber nicht. Warum kriege ich es nicht auf die Kette?“ Ich mache mich also fertig für meinen Gedanken. Davon hat übrigens niemand weiß. Niemand hat was davon, dass Du Dich kleinhältst. Am wenigsten Dein Umfeld. Dein Umfeld braucht Dich in Deiner wahren Größe, damit sie durch Dich ihre eigene wahre Größe erkennen können. Die fühlen sich nicht besser, wenn Du Dich klein machst. Dafür musst Du groß spielen.
Wie komme ich aus der Selbstverurteilung meiner Gedanken raus? Indem ich meine Erwartung, dass ich nie mehr „Ich bin nicht gut genug“ denken darf, loslasse. Ich erlaube mir aktiv, zu denken „Ich bin nicht gut genug“. Und wenn der Gedanke mal wieder kommt, denke ich: „Es ist, wie es ist. Ich habe jetzt diesen Gedanken. Nicht umgekehrt. Der Gedanke hat mich nicht länger, denn ich erlaube ihn mir. Deswegen habe ich den Gedanken.“ Dann atme ich bewusst, spüre in mich rein, welche Emotionen aufkommen. Und dann lasse ich ihn einfach da. Es ist scheisse unangenehm. Aber liebe Overthinker, ihr kennt das: Ganz bald kommt schon ein neuer Gedanke. Und da könnt ihr dann vielleicht schon wieder bewusst wählen. Ihr müsst nicht von heute auf morgen Herr über jeden Eurer Gedanken werden. Ihr könnt, denn ihr seid immer fähig. Ihr habt immer die Wahl. Doch setzt Euch Euren Standard und Eure Erwartungshaltung nicht so hoch, dass ihr da niemals drankommt und Euch deswegen fertig macht. Baby Steps. Und vielleicht entdeckt ihr hinter Eurem Standard und Eurer Erwartungshaltung, hinter Eurem Gedanken und Eurer Wahl, die Liebe.
Am Anfang des (Gedanken-)Loslassens steht Akzeptanz (Es ist, wie es ist), danach die Entscheidung. Ich fahre da gerne einen Dreiklang (für mich, gegen eine Sache, für eine andere Sache): „Ich entscheide mich für mich. Ich entscheide mich dafür, diesen Gedanken loszulassen. Ich entscheide mich für die Liebe.“ Fällt mir das immer leicht? – Nein. Aber ich kam auch nicht auf die Welt und konnte sofort denken. Ich habe es mir antrainiert. Und genauso kann ich mir antrainieren, andere Gedanken zu denken. Wie es nach dieser Entscheidung geht, dafür gibt es viele Möglichkeiten: Gedanken aus Deinem Kopf rausschreiben aufs Papier, Stopp sagen, laut singen, schreien, malen, Mediation, Coaching, Therapie…finde Deinen eigenen Weg. Was mir auch oft hilft, ist die Klopftechnik Ho’oponopono (google das gern mal): „Auch wenn ich denke, dass ich nicht gut genug bin, liebe und akzeptiere ich mich so wie ich bin.“ Generell hilft es mir, vor das „Ich bin nicht gut genug“ ein „ich denke“ zu setzen: „Ich denke, ich bin nicht gut genug.“ Und mir so oft es geht bewusst machen: „Meine Gedanken sind nicht die Realität.“
„Denk net so oft an uns – am besten gar net.“ Mit diesen Worten verabschiedete mich mein Kollege in ein paar Urlaubstage Anfang des Monats. Was habe ich gemacht, als ich es doch gemacht habe? – Ich habe an die Liebe gedacht, die in seinen Worten mitgeschwungen ist. Liebe lässt los. Liebe lässt auch Gedanken los.

Sehr schön geschrieben liebe Lisa❤