Über Leisten, Lieben und Learnings
Seit ich mich erinnern kann, hatte ich ein Ziel in meinem Leben: Mehr leisten als andere. Ich war extrem ehrgeizig und fleißig in der Schule. Ich wollte die Aufgaben im Unterricht nicht nur fehlerfrei machen, sondern ich wollte immer auch als Erste fertig sein. Wenn ich Zweite war, brach meine Welt zusammen. Ich machte mich selbst fertig, beschimpfte mich in meinen Gedanken als Versagerin und entwarf direkt den nächsten Plan, noch schneller zu sein.
Den Spruch „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ lebte ich aus, bis es nicht mehr ging. Wenn ich eigentlich auf dem Trampolin jumpen wollte, machte ich vorher erst zwei Stunden extremen Kraftsport. Weil für mich das einzige Workout, das wirklich zählte, das war, was Muskeln brachte. Oft war ich danach so fertig, dass ich es nicht mehr aufs Trampolin schaffte. Manchmal ist es heute auch noch so.
Oft gab es bei mir nur Arbeit, Vergnügen verdiene ich sowieso nicht. Vergnügen ist ja nicht leisten und ich will 24/7 leisten.
Ernährung sollte für mich auch kein Vergnügen, kein Genuss sein. Ernährung war ein Weg, zu leisten. Ich perfektionierte jede Mahlzeit bis auf die letzte Kalorie im richtigen Maß aus Proteinen, Kohlenhydraten und selten auch Fetten. Wenn ich an einem Tag nur 119 statt 120 Gramm Proteine erreicht hatte, brach meine Welt zusammen. Ich machte mich selbst fertig, beschimpfte mich in meinen Gedanken als Versagerin und entwarf direkt den nächsten Plan, noch besser zu essen.
Als ich studierte, fühlte ich mich oft unterlegen, was teilweise auch daran lag, dass ich den Stempel des Arbeiterkindes hatte. Ich machte mir selbst einen überdimensionalen Druck. Statt jedes Buch einmal zu lesen, las ich jede Seite gleich zweimal – bis auf die letzte Fußnote. Als ich in einer Gruppe tanzte, fühlte ich mich oft unterlegen, was teilweise auch daran lag, dass ich die kleinste war. Ich machte mir selbst einen überdimensionalen Druck. Ich dehnte mich jeden Abend – ohne eine einzige Ausnahme – um auch ja in den Spagat zu kommen. Und ich trainierte meine Beine bis zum Umfallen, bis ich sie höher werfen konnte als Mädels, die größer waren als ich.
Auch aus Persönlichkeitsentwicklung machte ich einen Leistungssport für mich. Ich hörte in jeder freien Minute meines Tages Podcasts statt meine Lieblingssongs. Ich las Fachbuch um Fachbuch statt meine Lieblingsbücher. Ich loggte mich in den zehnten kostenlose Zoom-Workshop der Woche ein statt in den Wald zu gehen.
Als ich meinen Job bei der Offenbach-Post anfing, verglich ich mich oft mit meinen Kollegen und fühlte mich oft viel schlechter. Ich kompensierte mit Überstunden, sagte nie zu einer Aufgabe nein und wollte jedem Kollegen so viel abnehmen, wie ich konnte. Ich war die erste, die morgens kam, und die letzte, die abends ging. Nur um mehr zu leisten als andere und mich dadurch gut genug oder zumindest nicht ganz so minderwertig zu fühlen. Der Moment trat in zwei Jahren nicht ein einziges Mal ein.
Ich verlängerte meinen Arbeitsvertrag nicht, weil ich mehr für mich wollte. Vor allem gedanklich mehr. Der Job war wirklich schön. Ich liebte meine Arbeit. Ich liebte meine Kollegen und die Menschen, die ich bei meinen Terminen traf. Ich liebte meine Freiheit, mir meine Zeit weitgehend selbst einteilen zu können, und die Freiheit, was und wie ich wollte schreiben zu können. Ich liebte es, in die Redaktion zu kommen und gemeinsam die Welt ein Stückchen liebevoller und ehrlicher zu gestalten.
Was ich nicht liebte, waren meine Gedanken, die ich dabei hatte. „Du hast noch nicht genug geleistet“ verwehrte mir die Mittagspause. „Dein Text ist viel schlechter als der Deines Kollegen“ verwehrte mir, mich gleichwertig in Meetings zu fühlen. „Du machst nie ein gutes Foto“ verwehrte mir, bei Terminen im Moment zu sein statt vor der Kameralinse. „Du musst bis zum Schluss bleiben und helfen, weil Du nicht gut genug für Feierabend bist“ verwehrte mir eine 40-Stunden-Woche.
Meine eigenen Gedanken verwehrten mir Freude, Frieden und Entspannung. Niemand sonst, ehrlich gesagt.
Ich wechselte den Job nicht, weil er furchtbar war. Meine Gedanken waren furchtbar. Ich spürte, dass ich – neben Coaching, Persönlichkeitsentwicklung und Spiritualität – einen beruflichen Neuanfang brauchte.
Und so wagte ich mein Kapitel Null in einem fremden Bundesland, in einer fremden Branche, in einem fremden Büro. Ich wechselte von der Zeitung ins Marketing. Einige frühere Kollegen sprachen Lob und Bewunderung aus. Denn ich hatte mir DEN Traumjob geangelt. Viel mehr Gehalt, geregelte Arbeitszeiten, die viel Freizeit ermöglichen, das neueste IPhone und den neuesten IMac als Dienstgeräte zum Mitnachhausenehmen, flexibles Homeoffice. Äußerlich hatte ich es geschafft, doch wie sah es innerlich aus?
Innerlich litt meine Seele seit Tag 1. Ich verkaufte meine Worte an ein Unternehmen. Mein Schreibstil wurde nicht mehr gefeiert, sondern verboten. Es ging um Unternehmensziele, nicht um mich als Mensch. Ich verkaufte meine Meinung an ein Unternehmen. Meine Perspektive wurde nicht mehr geschätzt, sondern sollte der der Führung gleichen. Ich verkaufte meine Freiheit an ein Unternehmen. Meine Strukturiertheit und Planung wurden nicht mehr als Stärke gesehen, sondern mussten Fremdbestimmungen weichen. Ich mache dem Unternehmen an keiner Stelle einen Vorwurf. Es ist ein tolles Unternehmen, es bewirkt gutes, es ist auch ein guter Arbeitgeber. Nur nicht für mich. Nicht für meine Gedanken, Emotionen, Handlungen.
Hinzu kamen noch zwischenmenschliche Herausforderungen. Ich ließ mich oft zu Mittagessen überreden, die ich gar nicht wollte, weil ich nicht nachdrücklich genug nein sagte. Ich hatte oft das Gefühl, lügen zu müssen, weil ich mein Leben als zu anders empfand und dazugehören wollte. Ich fühlte mich in eine bestimmte Rolle gepresst und mit Erwartungsdruck versehen, weil ich die einzige Frau im Team war und aus der Zeitungsbranche kam. Für nichts davon mache ich irgendjemanden verantwortlich außer mich selbst. Vielleicht hätte der Job mein Paradies werden können, wenn ich anders gedacht, anders gefühlt, anders gehandelt hätte.
Seit Tag 1 führte ich gedanklich Krieg, wann immer ich das Büro betrat. Es war anders als bei der Offenbach-Post. Ich hatte nicht mehr das Gefühl, viel leisten zu müssen. Ich verglich mich kaum mit meinen Kollegen, machte nur 2 Überstundentage in 5 Wochen und war viel öfter in der Mittagspause. Ich hatte nicht mehr das Gefühl, viel leisten zu müssen. Ich hatte das Gefühl, eine andere Person sein zu müssen als die, die ich war. Einen neuen Schreibstil und eine neue Meinung annehmen, meine Strukturiertheit und Planung ablegen, essen, was andere essen, dem klassischen Bild einer Frau und Zeitungsredakteurin entsprechen (was ich nicht war).
Am Montag habe ich diesen Job in Liebe gekündigt. Weil ich mehr für mich will. Ich wurde in Liebe freigestellt.
Was jetzt kommt, weiß ich nicht.
Ich lasse diesen Job in Liebe los.
Ich lasse alle alten Glaubenssätze los.
Ich lasse alles los, was mich von meiner Selbstliebe blockiert.
Ich lasse Liebe los. Denn ich gehe jetzt in eine Angstphase. Um dahinter noch mehr Liebe zu entdecken.
Ich liebe mich.
Ich liebe Dich.
Ich liebe Gott.

Oh Lisa,
Liebe Lisa,
ich weiß gar nicht, was ich schreiben soll.
Warum nur, bist Du innerlich so zerrissen…..
Du bist so toll, so wie Du bist und damit meine ich Dich als Herzensmensch und nicht die Kampfmaschine in Dir.
Vielleicht hilft Dir eine Auszeit im Kloster (für 1-2 Wochen), eine Pilgerung, …… die Dich zu Deinem wahren ICH führt.
Fühl Dich gedrückt, meine liebe Lisa. 🍀🤗
Ganz herzlich
Sandra😘