Meine Erkenntnisse 11 Tage nach meinem Umzug

Ich hasse diese Stadt. 

Ich hasse, dass das Feld kilometerweit weg ist und ich dort trotzdem die Autobahn sehe und höre. Vom Wald möchte ich gar nicht anfangen.

Ich hasse, dass hier alle drei Meter eine Ampel kommt und ich jedes Mal fünf Minuten warten muss, bis sie auf Grün springt.

Ich hasse, dass ich nicht mal die Haustür rausgehen kann ohne im Treppenhaus 100 Menschen zu begegnen und ich trotzdem in einem Kaff wohne.

Ich hasse, dass ich viel zu oft zwei Stunden auf die „S-Bahn“ warten muss, nur um eine Station zu fahren, aber Laufen drei Stunden dauern würde.

Ich hasse, dass ich keinen Sportverein habe, um Jumping und HIIT zu geben. Ich hasse, dass die Fitnessstudios erst um halb neun aufmachen.

Ich hasse, dass hier alle Kirchen zu sind.

Ich hasse, dass mich keiner kennt und im Vorbeilaufen fragt, wie es mir geht. 

Ich fühle mich fehl am Platz. Ich fühle mich nicht zugehörig. 

Mein Gehirn mag Veränderungen nicht. Ich bin im Drama-Modus. 

Es ist, wie es ist. 

Ich kann noch so wütend sein – kein Hass der Welt bringt das Feld näher und ohne Autos zu meiner Wohnung. Ich kann noch so zornig sein – kein Hass der Welt bringt meinen hessischen Wald nach Rheinland-Pfalz. Ich kann mich jeden Tag über die vielen Menschen und Ampeln aufregen – dadurch werden sie auch nicht weniger.

Es ist, wie es ist.

Ich bin jetzt hier. Entweder ich gehe weg oder ich akzeptiere die Situation. 

Hass ändert gar nichts. Liebe ändert alles. Vielleicht werde ich diese Stadt niemals lieben. Vielleicht werde ich diese Stadt niemals mögen. Ich will‘s auch gerade gar nicht. Scheiss Stadt.

Aber jeden Tag werde ich ein Stückchen mehr akzeptieren, dass ich jetzt in dieser Stadt wohne. Und vielleicht liebe ich irgendwann, wer ich  in dieser Stadt bin.

Ich kann nicht mehr sein, wer ich war. Ein Mädchen, das Sonnenuntergänge im Feld feierte und bei Wind und Wetter stundenlang im Wald war. Eine Fitnesstrainerin mit Herz und Verstand. Eine Freiheitsliebende mit 1000 Geheimverstecken in jedem Winkel der Stadt. 

Ich weiß nicht, wer ich hier bin. Ich sehe keine Möglichkeiten.

Manchmal hasse ich auch meinen neuen Job. Nicht, weil er so schlecht ist. Sondern weil er so anders ist als mein alter Job. Ich vermisse die Druckmaschine, meinen vollen Arbeitsterminkalender und all meine Kollegen. Ich vermisse es, meine Arbeitsergebnisse mit Autorenzeile am nächsten Tag in der Zeitung zu lesen. Ich vermisse meinen Redaktionsalltag, all das Ungeplante, all meinen Freiraum. Ich habe das Gefühl, auch mein berufliches Ich verloren zu haben.

Ich irre jetzt wie eine Verlorene durch die Straßen. Oder ich ziehe mir die Bettdecke über den Kopf und mache nichts. Oder ich verliere mich in ungesunden Verhaltensweisen.

Natürlich kann ich jederzeit gehen. Aber auch wenn ich gerade gar nichts sehe, will ich sehen, was passiert, wenn ich mich meiner Veränderung voll und ganz hingebe. Hingabe statt Hass.

Ich will sehen, was ich gewinne, wenn ich mein ganzes Ich aufgebe. Ob ich überhaupt was gewinne. Wer weiß das schon.

Ich verliere, wer ich war. Das tut scheisse weh. Die meiste Zeit fühlt es sich nur nach Verlieren an. Ich sehe nichts Schönes, obwohl ich mich doch anstrenge. Ich lerne zu akzeptieren, dass ich nichts Schönes sehe. Ich muss nichts Schönes sehen, um weiterzumachen. Vertrauen ist blind. Glaube ist blind. Echte Hingabe ist auch blind. Ich schließe meine Augen und ich gebe mich hin. Dem Verlieren. Der Leere. Dem Akzeptieren des Nichts.

Bislang ist nicht viel passiert – außer dass ich noch mehr verloren habe. Geld, Schuhe, Paarzeit. 

Ich schaue auf mein Leben sehe nichts mehr, was Bedeutung für mich hat. Mein Wald hatte Bedeutung für mich, mein Feld, meine Fitnesskurse, auch mein Job und Persönlichkeitsentwicklung. Nichts ist mehr da. Keine Ahnung, ob ich meinem Leben neue Bedeutung geben kann. Zumindest brauche ich keine Bedeutung zum Überleben. Das spüre ich gerade. 

Was auch geschieht, ich wähle Liebe.

Eine Antwort

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert