Ich würde manchmal lieber sterben als zuzugeben, dass ich einen Fehler gemacht habe. Dass ich nicht perfekt bin. Dass ich mich und andere Menschen durch meine Worte und mein Handeln verletzt habe.

Wenn mir ein Fehler passiert, laufe ich weg. Wenn ich einen Fehler gemacht habe und ich mich mit jemandem streite, verlasse ich den Raum, noch besser das Gebäude, die Stadt. Wenn das online ist, ist der Chat nur noch Lava für die nächsten Wochen und Monate und darf unter keinen Umständen angeklickt werden. Früher habe ich sogar manchmal lieber den Kontakt abgebrochen, als meinen Fehler einzugestehen.

Fehler vor anderen eingestehen fiel mir gelinde gesagt schwer. Mich im stillen Kämmerlein selbst für meine Unzulänglichkeiten verurteilen und bestrafen – darin war ich hingegen eine Meisterin. Im Gespräch nicht die „richtigen“ Worte gefunden – heute bleibst Du eine Stunde länger wach und liest nach, wie Kommunikation funktioniert. Einen Rechtschreibfehler gemacht – nach Feierabend schlägst Du die Wortfamilie nach, deklinierst das Wort durch und schreibst es mindestens zehnmal auf. Langsamer gearbeitet als gestern – heute Abend arbeitest nach, vor und gehst die Arbeitsabläufe so lange durch, bis Du von ihnen träumst. Das war ich – und bin es manchmal immer noch.

Meine Erwartung an mich ist, dass ich perfekt bin. Ich möchte mich weiterentwickeln und deswegen ist mein Ziel, so wenige Fehler wie möglich zu machen. Mittlerweile habe ich eine Fehlertoleranz. Ich habe verstanden, dass ich nicht perfekt sein kann. Trotzdem strebe ich nach Perfektion. Sagen wir, ich toleriere maximal zwei Rechtschreibfehler pro Text. Dann geht für mich beim dritten die Welt unter. Ich schäme mich. Ich fühle mich schlecht und schuldig. Gescheitert. Vorm Scheitern habe ich auch viel Angst. Ich habe Angst, zu viele Fehler zu machen. Angst, dass mir meine Fehler nicht verziehen werden.

Um voranzukommen sind Fehler so wichtig. Sie sind sogar ein Zeichen, dass ich in die richtige Richtung unterwegs bin. Wenn ich immer nur in meiner Komfortzone bleibe, kenne ich alles und mache wenig Fehler. Doch sobald ich etwas neu oder anders mache, steigt auch meine Fehlerquote. Wie will ich ein Buch schreiben, wenn ich mir keine Rechtschreibfehler erlaube? Ich schreibe, also mache ich Fehler. Der größte Fehler ist dabei doch, gar nicht erst zu schreiben, denn so komme ich nie zum Buch. Meine Worte können verletzen, meine Worte können bestärken – wenn ich nichts sage, ist da auch nichts. Und lieber verletze ich mal jemanden und lerne daraus, als mich auf ewig zu fragen, was wäre wenn. Ich bin nicht hier, um zu schweigen. Ich bin hier um zu leben. Leben = Nebel. Mit Fehlern und Erfolgen. Mit alle, was da gerade ist. Ich habe schon mal „Ich hasse Dich“ gesagt. Ich habe schon mal „Ich liebe Dich“. Ich habe schon mal nichts gesagt. Und alle Menschen, die diese Worte betrafen, konnten damit umgehen oder haben gelernt, damit umzugehen.

Was hat mir geholfen, meine Angst vor Fehlern loszulassen? Jeden Morgen, nachdem ich einen Fehler gemacht habe, ist die Sonne wieder aufgegangen. Jeden Morgen. Der Sonne ist es egal, ob ich die „richtigen“ Worte gefunden habe. Ob ich langsamer gearbeitet habe. Ob ich nämlich mit h geschrieben habe. Die Sonne akzeptiert mich genauso wie gestern vor meinem Fehler. Ebenso der Wald. Die Felder. Die Katzen. Die Pferde. Ich darf immer noch in die Bahn steigen und mir beim Bäcker eine Brezel kaufen. Die Welt dreht sich weiter. Niemand hat meinen Fehler bemerkt. Nur mein Kopf. Nur ich. Und ich entscheide, wie ich auf meine Fehler reagiere. Dabei hilft mir seit letztem Jahr enorm mein Wissen aus meiner Emotionscoach-Ausbildung. Atmen. Annehmen. Klopfen. Vergeben.

Was ist mit den Fehlern, mit denen ich andere Menschen verletzt habe? Erstmal Atmen. Annehmen. Klopfen. Vergeben. Und dann hinlaufen statt wegrennen. Denn mein Fehler ist eine Chance, zu sehen, wie fest die Beziehung zu meinem Gegenüber ist. Wird mein Fehler toleriert, wird die Beziehung ehrlicher und enger. Wird mein Fehler nicht toleriert, gibt es jetzt Klarheit und vielleicht getrennte Wege. Weglaufen ist feige. Weglaufen nimmt nicht nur meinem Gegenüber, sondern auch mir selbst die Möglichkeit, die Beziehung noch enger und ehrlicher werden zu lassen. Es geht nicht darum, absichtlich und ständig Fehler zu machen. Aber wenn sie passieren, die Fehler für mich zu nutzen und nicht gegen mich.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert